HM wirkt! Überall rote Würfel...

Ein roter Würfel auf dem Bahnhofsplatz in Mittenwald!

Er ist Teil des Jubiläumsprojekt „HM wirkt!“, bei dem die Hochschule München im
Winter 2021/22 über 20 rote Quader in München aufstellte, um Orte zu markieren,
an denen die HM am kulturellen Gedächtnis der Stadt mitgewirkt hat.

Ein Satellit dieser Würfel steht auf Bahnhofsplatz in Mittenwald mit Blick auf den Karwendel. Wolfgang Schwind, Alumnus der Hochschule München und Mittenwalder, hat den Karwendel zu einem Ort von „HM wirkt!“ gemacht. Erfahren Sie mehr zu seiner Arbeit und dem HM-Wirkungsort!

HM-Absolvent und Mittenwalder Wolfgang Schwind berechnete die Statik des „Fernrohrs“ auf dem westlichen Karwendel
HM-Absolvent und Mittenwalder Wolfgang Schwind berechnete die Statik des „Fernrohrs“ auf dem westlichen Karwendel (Foto: Peter Czajka Photography)

HM wirkt! Karwendel – Schneelast berechnen

Zu dem von Steinert Architekten aus Garmisch-Partenkirchen entworfenen Fernrohr machte der Mittenwalder Bauingenieur Wolfgang Schwind die Konstruktion und Statik. Der HM-Absolvent hatte immer schon eine Passion für Schnee. Der begeisterte Skifahrer und Schneetourengeher kennt das Karwendelgebirge wie seine Westentasche. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Schnee kam er, als Ende der 1970er-Jahre die Schneelastnorm erstmals rapide, aber nicht unberechtigt, geändert wurde. Der Wert, mit dem StatikerInnen in Alpengebieten wie Mittenwald die Belastung von Dächern durch Schnee berechnen, wurden plötzlich um 80 Prozent angehoben. Das wunderte den Tragwerksplaner Schwind. 

„Wenn sich Baunormen absolut von der Realität verabschiedet haben, ist es unsere Pflicht als Bauingenieure mit unserer Expertise dem entgegen zu treten.“ – Wolfgang Schwind, Bauingenieur und HM-Absolvent

Der HM-Absolvent Wolfgang Schwind konstruierte das Karwendel-Fernrohr (Foto: Johanna Weber)

Der Normenkritiker
Die nächste, im Jahr 2005 erlassene Schneelast-Norm erhöhte den Rechenwert für die BauingenieurInnen ein weiteres Mal, jetzt aber teilweise um bis zu 200 Prozent. Außerdem gab es darin erstmals Vorgaben zur Berechnung der Schneelast für die Dachtraufe. Das sind die Bereiche von Dächern, an denen sich der Schnee beim Abrutschen sammelt. Entsprechend der neuen Norm hätten ehemals 20 Zentimeter hohe Dachbalken jetzt 34 Zentimeter messen müssen. Damit hätten BauherInnen für einen Dachstuhl eineinhalb Mal mehr Holz gebraucht. „Da war uns klar: Hier muss gehandelt werden!“, sagt der Bauingenieur. Da seine branchenpolitischen und politischen Einwände zunächst verhallten, arbeitete sich Schwind selbst in die Materie ein: Wie viele Wetterdaten hatte man für die neue Norm ausgewertet? Wie hatte man die Schneelast-Formel genau berechnet?

„Der Schneeüberhang an der Dachkante in Mittenwald kann einfach nicht drei Mal höher sein als der in Österreich.“ – Wolfgang Schwind, Bauingenieur und HM-Absolvent

Forschen, fundieren, koalieren
Schwind bohrte tief: Die Schneelasten wurden für die neue Norm auf Basis so genannter Wasseräquivalente, das ist geschmolzener Schnee, von ungefähr 300 Wetterstationen ermittelt. Aber die wertvollen Werte zu Schneehöhen der über 1.800 Messstationen wurden außer Acht gelassen. Für den Bauingenieur, der die Schneelast direkt aus der Schneehöhe berechnet, eine statistisch zu mickrige Datenbasis. Außerdem fand Schwind heraus, dass die Schneelast für die Dachtraufe nach der neuen Norm wirklich zu hoch und damit die Auslegung der Dachbalken zu mächtig angesetzt worden war. Darüber hatte der HM-Absolvent zwei Gutachten für die Bayerische Ingenieurekammer-Bau erstellt. Inzwischen war er Mitglied des DIN-Normenausschusses „Einwirkung auf Bauten“ und hatte MitstreiterInnen aus der Branche gefunden. „In unseren Gutachten hatten wir festgestellt, dass die charakteristischen Schneelasten aus der DIN-Norm so nicht stimmten“, sagt Schwind.

Mister Schnee
Der rebellische Bauingenieur ging seinen Weg nun als Normenschreiber weiter: Im Rahmen eines ministeriell unterstützten Forschungsauftrags schrieb er den Vorschlag für die deutsche und europäische Schneelast-Norm, deren Ergebnis 2019 größtenteils umgesetzt wurde. Der oft als „Mister Schnee“ betitelte Tragwerksplaner konstruierte das Karwendel-Fernrohr wie ein Musterobjekt für „seine“ neue Schneenorm: Sie ist möglichst schlank berechnet und sparte deshalb beim Bau Material und Ressourcen.

Das Tonnendach des elliptischen Karwendel-Fernrohrs berechnete Schwind nach den von ihm auf den Weg gebrachten Erkenntnissen über Schneelasten (Bild: Wolfgang Schwind)

Für seine über zwölf Jahre währende Forschung erhielt Schwind 2018 aus den Händen der stellvertretenden Ministerpräsidentin Ilse Aigner den ZDI-Preis des Zentralverbands Deutscher Ingenieure für besondere Ingenieurleistungen sowie die Würde eines Ingenieur-Senators (Senator e.h.).

Christiane Taddigs-Hirsch

Schon gewusst?
Schnee durchläuft bereits beim Fallen eine Metamorphose, die sich beim Liegenbleiben fortführt: Aus sechseckigen Schneekristallen werden durch das Abbrechen der Kristallspitzen und ihr Zusammenrücken durch die Schneelast darüber und Temperatureinflüsse immer mehr runde Kristalle, die weniger Luft einschließen und deshalb den Schnee fester werden lassen.

Quellen:
Schwind, Wolfgang 2014: Ein Regelwerk, das deutschen Gegebenheiten entspricht? In: Deutsches Ingenieurblatt, 2014 (3), 18-25.

Link, Harald (2014): Engagement, das Wirkung zeigt. In: Deutsches Ingenieurblatt, 2014 (3), 26-28.

Das Projekt „HM wirkt!“ in Mittenwald ist eine Kooperation der Gemeinde Mittenwald und der Hochschule München.